"ESG ist bei jeder Transaktion und in jeder Vermietung inzwischen ein großes Thema"


04.06.2024 von Konstantin Köhler

Die Regulatorik und Gesetze treiben die ESG-Transformation der Immobilienwirtschaft voran. Außerdem fordern Mieter zunehmend attraktive und nachhaltige Gewerbeflächen. Ein Gespräch mit der ESG-Managerin Melissa Mikulic.

Portrait

Melissa Mikulic arbeitet im Investment Management der Zurich Gruppe Deutschland und ist Teil des Real Estate Bereichs. Sie ist verantwortlich für die Umsetzung und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsagenda und unterstützt die Immobilienabteilungen, indem sie ihre ESG-Expertise auf Portfolio-, Objekt- und Projektebene einbringt. Bevor sie zur Zurich Gruppe Deutschland kam, sammelte sie drei Jahre Erfahrung im ESG-Management bei der HAHN-Gruppe und verfügt über mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung im deutschen Immobilienmarkt.

Frau Mikulic, wie sieht ihr beruflicher Alltag aus?

Ich beschäftige mich mit so ziemlich allem, was man sich unter ESG vorstellen kann. Das sind unter anderem regulatorische Anforderungen, Monitoring und das Reporting. Dazu gehört aber auch der operative Teil, also Strategieentwicklung, Anwendung der Gruppen-Strategie aufs Portfolio, Partnersuche, Rahmenverträge schließen und vieles mehr.

Mit welchen Themen befassen Sie sich?

Das ist zum einen natürlich die Dekarbonisierung des Gebäudebestands und der nachhaltige Betrieb und Bau von Immobilien. Aber es geht viel weiter. Wir prüfen zum Beispiel auch, mit welchen Mietern wir zusammenarbeiten. Wir verfolgen hier unter anderem die United-Nations-Global-Compact-Prinzipien und haben eigene Screening-Kriterien. Außerdem binden wir unsere Mieter bei der ESG-Strategie mit ein, um ihnen einen sicheren, gesunden und attraktiven Lebens- und Arbeitsraum zu bieten und das Well-Being zu garantieren.

Bei Governance-Themen prüfen wir, wie wir uns selbst aufstellen und auch, mit welchen Dienstleistern wir zusammenarbeiten.

Welche Rolle spielt ESG in der Immobilienwirtschaft inzwischen?

ESG ist bei jeder Transaktion und Vermietung inzwischen ein großes Thema und von hoher Relevanz. Ein sogenanntes Stranded Asset, welches gemäß dem CRREM-Pfad die Dekarbonisierungsziele verfehlt, würde man heute nicht oder nur mit erheblichem Preisabschlag am Immobilienmarkt platzieren können. Bei derartigen Immobilien empfiehlt sich die Prüfung einer Entwicklung.

Die ESG-Due-Diligences, die mehr und mehr kommen – teilweise als Teil einer technischen Due-Diligence, teilweise alleinstehend –, werden konkret angefordert. Wenn sie nicht da sind, muss man sie erstellen lassen. Und wenn sie schlecht ausfallen, sinkt der Preis für die Immobilie. Oder man findet gar keinen Käufer.

Eine wichtige Frage ist zudem die nach einer Zertifizierung: Hat das Gebäude eine? Und wie gut ist sie? Wie groß ist der Aufwand, um die nächste Stufe zu erreichen? Das wird nicht nur bei Transaktionen gefragt, sondern inzwischen auch von vielen Mietern.

Sind deren Ansprüche gestiegen?

Eindeutig ja. Mietern, die gewerblich tätig sind, ist die Nachhaltigkeit sehr wichtig geworden. Oft sind das Unternehmen, die selbst Nachhaltigkeitsberichte verfassen.

Überall wird nach Nachhaltigkeitsmaßnahmen gefragt, nach Zertifikaten und nach Energieeffizienz. Auch Well-Being ist ein großes Thema. Die Mitarbeitenden wollen sich wohl fühlen an ihrem Arbeitsplatz – das ist zu einem Kriterium bei der Jobwahl geworden. Arbeitgeber müssen sich viel mehr als früher um ein attraktives Büro Gedanken machen, in dem man gerne arbeitet.

Wenn man sich als Vermieter beziehungsweise Immobilieneigentümer hier nicht gut aufstellt, steigt die Gefahr, dass sich die Flächen nicht oder zu einem niedrigeren Preis vermieten lassen.

ESG und Immobilienwerte hängen also zusammen?

Hier gehen die Meinungen noch auseinander. Es gibt immer noch Leute, die ESG für eine Mode-Erscheinung halten. Ich sehe das natürlich anders. Allein, was sich gerade in Sachen Regulatorik entwickelt, zeigt: Das Thema wird nicht mehr weggehen.

Ich kenne auch Unternehmen, die ESG als Nebenthema betrachtet haben, das man im Alltagsgeschäft mal eben mit abdecken kann. Die merken spätestens jetzt: So einfach ist es nicht.

Um nochmal auf die Anforderungen der Mieter zu sprechen zu kommen: Immobilienunternehmen stehen im Wettbewerb. Wenn die Mieter mehrere Büros zur Auswahl haben, die einigermaßen ähnlich sind, dann entscheiden sie sich eher für diese, die zum Beispiel schon eine Ladeinfrastruktur für E-Autos bereitstellen und niedrige Betriebskosten aufweisen.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Treiber für die ESG-Transformation?

Die Regulatorik, die Gesetzeslage und das Geld. Teilweise werden von der Politik zwar Ziele vorgegeben, die kaum realistisch einzuhalten sind. Andererseits begrüße ich als ESG-Managerin konkrete Vorgaben, damit sich wirklich etwas tut. Ohne Directives und Gesetze, die konkret festlegen, bis wann etwas umgesetzt sein muss, sind Veränderungen schwierig.

Und wenn ich konkret beziffern könnte, dass das Fehlen einer bestimmten ESG-Maßnahme zu fünf Prozent Rendite-Einbuße führt, dann würde sie sofort umgesetzt.

Mit welchen ESG-Maßnahmen fangen Sie an?

Das sind mehrere. Eine wichtige: Smart-Meter-Rollout. Wenn ich die Effizienz steigern und die Emissionen senken will, muss ich die Verbräuche messen können. Deshalb: Zählerkonzepte erstellen, Zähler nachrüsten und Verbräuche digital verfügbar machen.

Und wenn Verbräuche dann reduziert werden – wie wichtig ist der Nachweis darüber?

Der ist sehr wichtig. Für das Reporting brauche ich konkrete Zahlen und auch für den CRREM-Pfad. Aber auch für einen selbst, um den Erfolg der Umsetzung einer Maßnahme zu messen.

Muss das Thema ESG abteilungsübergreifend stattfinden?

Ja. Ich als ESG-Managerin kann Strategien entwickeln, Guidelines aufsetzen, Wissen vermitteln und beraten. Die tatsächliche Umsetzung bezogen auf das konkrete Objekt muss aber immer in Abstimmung mit dem Asset Management stattfinden.

Was aus meiner Sicht oft noch ein Missverständnis ist: Nur, weil es eine ESG-Abteilung gibt, heißt das nicht, dass ESG komplett abgedeckt ist. Das ist ein Querschnittsthema.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Konstantin Köhler war viele Jahre Journalist und Corporate Writer für Technikthemen. Der erfahrene Content-Spezialist ist bei Recogizer verantwortlich für Kommunikation & Marketing. Sein Anliegen: Authentische und hilfreiche Informationen liefern und komplexe Themen verständlich machen.

Konstantin Köhler | Head of Communications


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